Rede zum Volkstrauertag 2023
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Am heutigen Volkstrauertag wird überall in Deutschland an die Opfer von Krieg und Gewalt erinnert und gleichzeitig zu Versöhnung, Verständigung und Frieden gemahnt.
Den diesjährigen Volkstrauertag begeht der Volksbund gemeinsam mit seinem Partnerland Schweden. Zusammen erinnern die beiden Länder an ihre Geschichte bis hin zur heutigen Partnerschaft in einem vereinten Europa der freiheitlichen und friedlichen Demokratien. Zugleich gedenken wir aber auch in diesem Jahr im Besonderen der Toten des Angriffskrieges gegen die Ukraine.
Dieser Volkstrauertag steht in seinem Gedenken an die Millionen Tote durch Krieg und Gewalt unter dem Motto:
„Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“
Aber was ist ein guter Friede und wie können aus Feinden Freunde werden?
Werfen wir dazu einen Blick auf die deutsche Nachkriegsgeschichte, insbesondere die deutsch-französischen Beziehungen. Der Élysée-Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, geschlossen vor 60 Jahren, gilt als Grundbaustein für die deutsch-französische Versöhnung.
- Wie gelang es hier, dass aus ehemaligen Kriegsgegnern Freunde wurden?
- Wie gestalteten beide Länder diesen Weg?
- Was waren - und vor allem - was sind die grundlegenden Elemente dieser Friedensarbeit?
- Können unsere beiden Nationen mit den Antworten auf diese Fragen als Vorbild genommen werden, wie aus zwei Erzrivalen Verbündete - gar Freunde - wurden?
- Vielleicht einen Schimmer Hoffnung geben für alle Kriegs-Betroffenen?
In vielen Teilen der Welt herrscht Terror, Gewalt und Unterdrückung. Einen erneuten Krieg in Europa haben viele von uns bis vor wenigen Monaten für unwahrscheinlich gehalten – auch wenn es mit dem Jugoslawien-Krieg 1991/92 bereits schon einmal einen Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten gab.
Ja, wir haben uns „sicher“ gefühlt. Aber seit dem russischen Angriffskrieg ist dieses Gefühl zumindest dem der Unsicherheit gewichen.
Momentan kann man den Eindruck gewinnen, dass eine Krise die nächste jagt; und nun - am 07. Oktober - auch noch der barbarische Angriff der Hamas auf Israel.
Wie geht Europa mit der Situation um, wie gehen wir Deutschen angesichts unserer eigenen Historie damit um?
Dazu möchte ich Ihnen ein Zitat des spanischen Philosophen Jorge Santayana mitgeben, der gesagt hat
„Wer sich nicht an die Geschichte erinnert, ist verurteilt, sie erneut zu durchleben.“
Haben wir Deutschen aus unserer Geschichte gelernt?
Wenn ich mir aktuelle Bilder oder Berichte in den Medien anschaue zweifle ich daran.
Warum?
- Weil sich Antisemitismus wieder auf unseren Straßen ausbreitet.
- Weil jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst haben, eine Kippa oder den Davidsstern zu tragen.
- Weil wieder Synagogen bewacht werden müssen.
- Weil es Angriffe, Beschimpfungen und Beleidigungen gibt – und dies nicht nur von arabisch stämmigen Menschen, die in Deutschland wohnen, sondern auch von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern
und
- weil es Demonstrationen auf unseren Straßen gibt mit diskriminierenden Äußerungen, die nichts - aber auch gar nichts - mit freier Meinungsäußerung zu tun haben.
Die aktuelle Lage macht durchaus Angst.
Die Brutalität, mit der die Hamas diesen Krieg begonnen hat, die Verschleppung von Menschen und der Fanatismus, mit der dieser Angriff begonnen hat –
machen Angst.
Die Vergeltung von Seiten Israels, das Vordringen in Krankenhäuser zum Zerstören kritischer Infrastruktur –
auch das macht Angst.
Nach dem Völkerrecht hat Israel jedes Recht auf Verteidigung seines Staatsgebietes, aber die gesamte Weltgemeinschaft ist sich genauso einig, dass es auch eine humanitäre Verpflichtung gegenüber der Zivilbevölkerung gibt.
Gerechter Krieg? - Guter Friede? –
oder umgekehrt?
Nahezu alle Politiker weltweit versuchen, die Lage nicht eskalieren zu lassen.
Ja, ich mache mir Sorgen angesichts zweier anstehender Großereignisse im nächsten Jahr.
Im Juni/Juli ist Deutschland Gastgeber einer Fußball-EM und von Ende Juli bis Mitte August trifft sich die Jugend der Welt in Paris zu den XXXIII. Olympischen Spielen – wer von uns hat da nicht München 1972 vor Augen?
Meine Damen und Herren,
schaut man sich die aktuellen Entwicklungen in der Welt, in Europa und in unserem Land an, dann brauchen wir gerade jetzt eine Erinnerungsoffensive, eine Sensibilisierung der gesamten Gesellschaft. Aus dem Erlebten und Erlittenen, aus dem Versäumten - und gerade auch wegen der Irrwege - ermutigt uns unsere Geschichte auch zur konstruktiven, friedensfördernden Einmischung.
„Nie wieder ist jetzt“
war jüngst die Botschaft am Brandenburger Tor – ich glaube, prägnanter kann man dies nicht ausdrücken.
Deshalb ist und bleibt der Volkstrauertag von großer Bedeutung, weil er uns zeigt, was passiert
- wenn wir nicht für unsere Werte, unsere Demokratie und ein friedliches Miteinander mit unseren Nachbarn einstehen,
- wenn wir nicht aktiv werden für den Schutz der unantastbaren Würde eines jeden Menschen, unabhängig von seiner ethnischen Herkunft, Religion oder Hautfarbe.
Wir alle können dafür sorgen, dass die Feinde unserer Demokratie diese Werte nicht außer Kraft setzen. Die Demokratie ist auf wehrhafte Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die die Werte unseres Grundgesetzes achten und schützen.
Dafür sollten wir jederzeit eintreten.
Lassen Sie uns mutig sein.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche
Ihr Jörg Wilhelmy